Kurzportrait: Zahnärztin Dr. Simone Hagelstein im „Tagesspiegel“

Simone Hagelstein ist Zahnärztin am Roseneck und führt die 1978 von ihrer Mutter Rosemarie Clemm gegründete Praxis seit 20 Jahren gemeinsam mit ihr. Zu den Patienten gehört seit vielen Jahren auch der Autor dieses Newsletters.

Die Gefahr, sich mit dem neuen Coronavirus zu infizieren, sei für Zahnärzte größer als für Hausärzte, glaubt Simone Hagelstein. Bei den Behandlungen „können wir den Mindestabstand nicht einhalten“, und speziell beim Bohren sei es unvermeidbar, dass sich Aerosole (Schwebeteilchen) verbreiten. Patienten hingegen müssten kaum befürchten, sich bei Zahnärzten anzustecken, weil diese üblicherweise einen medizinischen Mundschutz aufsetzen. Simone Hagelstein trägt immer einen Mundschutz, Handschuhe und eine Spezialbrille, an der auch eine Lampe zur Erleuchtung des Mundraums befestigt ist.

So macht sie es nicht erst seit der jetzigen Pandemie. Schließlich war der Schutz vor Influenza-Viren oder bakteriellen Krankheitserregern immer wichtig. „Wir hatten vorher schon eine strenge Hygiene.“ Diese wurde nun allerdings nochmals verstärkt. Patienten sollen sich im Toilettenraum die Hände waschen und danach auch mit einer desinfizierenden Mundspülung gurgeln.

Derzeit „kommen einige Patienten nicht mehr“, beobachtet Simone Hagelstein. Das ist für sie noch verkraftbar. Für realitätsfremd hält sie dagegen den Rat der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, Praxen täglich nur noch für zwei Stunden zu öffnen: „Wie soll ich das wirtschaftlich überleben?“. Es gebe drei denkbare Szenarien. Zum einen könne die Praxis amtlich unter Quarantäne gestellt werden, falls ein Patient sich irgendwo infiziert hatte und ein Test dies beweise. In diesem Fall erhalte sie immerhin „sofort Geld nach dem Paragrafen 56 des Infektionsschutzgesetzes“. Hagelstein könnte auch Kurzarbeit für ihre Angestellten beantragen, sieht darin aber keine gute Lösung. Außer der 45-Jährigen und ihrer Mutter gehören fünf Mitarbeiterinnen zum Team, von denen eine im Mutterschaftsurlaub ist.

Simone Hagelstein hat sich für den dritten Weg entschieden: „Wir machen weiter wie bisher“, abgesehen von den zusätzlichen Hygienemaßnahmen. Die Praxis bietet also weiterhin zum Beispiel auch Prophylaxe an. Beim Polieren während der Zahnreinigungen „versprüht nichts“, sagt die Chefin. Etwa die Hälfte der ihr bekannten Zahnärzte setzt die Arbeit ebenfalls in vollem Umfang fort.

„Die Politik hat uns komplett im Stich gelassen“, findet die Dentistin. Die Miete und Kredite müssten ohne Abstriche weiter gezahlt werden. Für drei neue Behandlungsstühle hat Simone Hagelstein einen Kredit aufgenommen, dessen Aussetzung ihre Hausbank ablehnt. Ein ganz anderes Problem besteht darin, dass ihre vor allem kieferorthopädisch tätige Mutter zurzeit nicht mithelfen kann. Wegen der europäischen Reisebeschränkungen „sitzt sie in Spanien fest“.

Im Kiez rund ums Roseneck, wo sie auch wohnt, beobachtet Simone Hagelstein nicht nur wegen geschlossener Läden und Lokale eine „teilweise gespenstische“ Stimmung. „Die Leute schauen sich leider kaum noch an.“

 

Dieses Kurzportrait erschien im Original im Newsletter des Tagesspiegel Charlottenburg-Wilmersdorf

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